Bild: Jessica Starzetz / BDKJ Aachen

Erntearbeit und Saisonarbeiter*innen unter Druck

25. November 2020

In der deutschen Landwirtschaft ist die Beschäftigung von Arbeitsmigrant*innen als Erntehelfer*innen eine gängige Praxis. Sie arbeiten als Saisonarbeiter*innen und ernten Obst und Gemüse. Bekannte Beispiele sind Erdbeeren und Spargel. Von den Erntehelfer*innen, die in Deutschland arbeiten, kommen 95% aus dem Ausland.

Corona-Pandemie zeigte Bedarfe und Nöte von Saisonarbeiter*innen

Ähnlich wie bei der Schlachtindustrie geriet die Praxis in der Landwirtschaft, saisonale Arbeiter*innen während der Erntezeit einzustellen, in der ersten Jahreshälfte in den medialen Fokus. Aufgrund der zeitweisen Schließung der Grenzen war eine Einreise nach Deutschland für viele Arbeiter*innen nicht mehr möglich.
Die Bundesregierung einigte sich auf eine Ausnahmeregelung zur begrenzten Einreise von bis zu 40.000 Erntehelfer*innen jeweils für die Monate April und Mai. Diese Regelung wurde an die Forderung gekoppelt, dass die Erntehelfer*innen das Betriebsgelände während einer 14-tätigen Quarantäne nicht verlassen durften und auch keine Besuche empfangen durften.
Dies ist eine rein aus der Perspektive des Infektionsschutzes durchaus verständliche Forderung.
Doch hatte sie zur Folge, dass die Arbeitskräfte dadurch in eine noch größere Abhängigkeit zu ihrem Arbeitgeber gerieten. Diese Abhängigkeit betraf vor allem die Bereiche Unterkunft, Verpflegung, Hygiene sowie Ein- und Ausreise.

Kritik am Umgang mit Saisonarbeiter*innen

Viele Praktiken in der Erntearbeit standen und stehen ohnehin bereits in großer Kritik. Wir wollen an dieser Stelle betonen: Landwirt*innen wollen wir nicht unter Generalverdacht stellen, dass sie Erntehelfer*innen schlecht behandeln.

Doch einige Beratungsstellen für Arbeitsmigrant*innen berichten, dass es in den vergangenen Jahren zur Praxis wurde, Saisonarbeiter*innen den Lohn erst am Ende der Erntezeit auszuzahlen. Falls die Arbeiter*innen vorher kündigen wollen, beispielsweise wegen schlechter Bedingungen an den Arbeitsplätzen oder den Unterkünften, erhalten sie in der Regel ihren Lohn nicht. Die Abreise der Arbeiter*innen kann häufig bloß in Abstimmung mit den Arbeitgeber*innen organisiert werden.

Die Anzeichen für Zwang und Ausbeutung von migrantischen Arbeiter*innen nehmen durch die aktuelle Situation der Pandemie noch zu. Ohnehin können die Menschen durch ihre isolierte Gesamtsituation bestehende Hilfsangebote, wie beispielsweise Beratungsstellen, nicht gut erreichen. Durch die zusätzliche Isolation der Quarantäne wird ihnen diese Möglichkeit nochmals erschwert.

Bild: Jessica Starzetz / BDKJ Aachen

Hilfe für Arbeitsmigrant*innen in Deutschland

Wir möchten auf den Verein Aktion Würde und Gerechtigkeit aufmerksam machen. Die Initiative zur Gründung des Vereins ging vom Priester Peter Kossen aus Lengereich aus, der mit seinem Einsatz für menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Arbeitsmigrant*innen bereits oft im medialen Fokus stand. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebens- und Arbeitssituationen von Arbeitsmigrant*innen zu verbessern und ihnen zu helfen. Der Verein bietet juristische Beratung und Unterstützung bei der Durchsetzung von Rechten sowie Unterstützung bei Integration und Teilhabe an.

Themenreihe Arbeitsmigration anlässlich der 63. Aktion Dreikönigssingen

Die 63. Aktion Dreikönigssingen mit ihrem Motto „Kindern Halt geben. In der Ukraine und weltweit!“ und die Bundesweite Eröffnung in Aachen haben uns veranlasst, das Thema Arbeitsmigration in Deutschland genauer zu beleuchten.

Denn „Arbeitsmigration“ ist das tiefergehende Thema, mit dem sich die diesjährige Aktion Dreiköniggssingen am Beispielland Ukraine genauer beschäftigt. Arbeitsmigration bedeutet, dass Menschen in einem anderen als in ihrem Herkunftsland einer Erwerbstätigkeit nachgehen. In der Ukraine ist das häufig der Fall. Mit knapp 42 Millionen Einwohnern gehen nach einer Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation ca. 1,5 Millionen Ukrainer*innen einer Arbeit im Ausland nach. Der Grund dafür ist die schwierige wirtschaftliche Situation in der Ukraine. Armut, mangelnde Einkommensmöglichkeiten, hohe Arbeitslosigkeitszahlen und niedrige Gehälter gehören in der Ukraine zum Alltag. Viele Ukrainer*innen arbeiten deshalb unter ausbeuterischen Bedingungen im Westen Europas und müssen eine Trennung von ihrer daheimgebliebenen Familie in Kauf nehmen. Kinder müssen auf ein Elternteil, manchmal sogar auf beide Elternteile, verzichten.


Text: Mirjam Tannenbaum / BDKJ Aachen

Ausgewählte Quellen und weitere Informationen zur Arbeitsmigration in Deutschland bei der Erntearbeit:

Erntehelfer dürfen kommen, swr aktuell, 03.04.2020.

Hygienemaßnahmen dürfen nicht zu Zwang und Ausbeutung migrantischer Saisonarbeiter*innen führen, Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangarbeit & Menschenhandel, 26.05.2020.

Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien – Arbeitsmigration oder Armutsmigration?, IAB Kurzbericht: Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 16/2013.

Moderne Sklaverei und Arbeitsausbeutung. Herausforderungen und Lösungsansätze für deutsche Unternehmen, Global Compact Netzwerk Deutschland, November 2018.

Dossier: Wenn Eltern fehlen, Kindermissionswerk, 2020.